Beim diesjährigen Stuttgarter ÖPNV-Forum folgten mehr als 100 Verkehrsexperten aus Baden-Württemberg der Einladung des VVS. Die ganztägige Veranstaltung im Haus der Architekten wurde von den beiden VVS-Geschäftsführern Horst Stammler und Thomas Hachenberger moderiert. Im Fokus der Veranstaltung standen neben der Finanzierung des ÖPNV Themen wie die Zukunft des Busverkehrs und die Folgen von Betreiberwechseln im Schienen- und Straßenpersonenverkehr.
Der Vorsitzende des Verbands Region Stuttgart Thomas S. Bopp machte in seinem Statement deutlich, dass in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen in den Ausbau des ÖPNV in der Wachstumsregion Stuttgart aufgebracht werden müssten: „Der Anteil der Gelder, den die Region Stuttgart zur Finanzierung der Maßnahmen von Bund und Land erhält, muss der Bevölkerungszahl, der Wertschöpfung und dem Verkehrsaufkommen angepasst werden“, forderte der Vorsitzende. Er wies darauf hin, dass die S-Bahn Stuttgart an der Belastungsgrenze angelangt sei und zwingend mit dem modernen Signalsystem ETCS ausgestattet werden müsse.
Ministerialdirektor Prof. Dr. Uwe Lahl, Amtschef im Verkehrsministerium Baden-Württemberg, berichtete über die geplanten Aktivitäten seines Ministeriums in der aktuellen Legislaturperiode. Er wies auf den grün-schwarzen Koalitionsvertrag hin: „Unser Ziel ist es, die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr bis zum Jahr 2030 deutlich zu erhöhen und dabei ein landesweit bedarfsangepasstes und verlässliches Grundangebot von frühmorgens bis spätabends im Stundentakt zu schaffen.“
Er informierte über die Einführung des neuen Metropol-Expresses, mit dem die Ober- und Mittelzentren der Metropolregion Stuttgart ab 2019/20 nahezu durchgehend im 30-Minuten-Takt an die Landeshauptstadt angebunden werden. Er berichtete aber auch über die aktuellen Probleme im Regionalverkehr mit Verspätungen und Zugausfällen: „Wenn die Bahnen nicht zuverlässig fahren, wird der Ruf des öffentlichen Nahverkehrs nachhaltig beschädigt“, so Lahl. Auch auf das landesweit wirkende Vorhaben Stuttgart 21 nahm der Ministerialdirektor Bezug: „Das Projekt muss möglich schnell fertig werden, denn die Stadt und die Fahrgäste im ÖPNV leiden unter den Baustellen. Je früher, desto besser ist das für den öffentlichen Verkehr.“
Busse sollen emissionsärmer werden
Bei den weiteren Fachvorträgen ging es unter anderem um die Qualität im Busverkehr. Wolfgang Arnold, Vorstandssprecher der Stuttgarter Straßenbahnen AG, widmete sich der Frage, wie das Verkehrsmittel Bus zu einem konkurrenzfähigen System im Stadtverkehr wird. Wichtig sei, dass es gelinge, die Interessen der Beteiligten – motorisierter Verkehr, Fahrradfahrer und Busse – auszubalancieren. Auch auf den Aspekt Luftreinhaltung ging Arnold ein: „Alles was den Ausstoß von Dieselabgasen vermindert, ist gut. Deswegen werden ab Anfang 2018 beispielsweise ausschließlich Euro-6-Busse im Stuttgarter Talkessel unterwegs sein.“
Er kündigte an, dass auf der Schnellbuslinie X1, die ab Herbst 2018 zwischen Bad Cannstatt Wilhelmsplatz und Charlottenplatz pendelt, zu Testzwecken Busse mit innovativen Antriebstechniken im Einsatz sein werden. Die Schnellbuslinie soll die stark frequentierte Stadtbahnlinie U1 von Fellbach in die Innenstadt entlasten.
Der SSB-Vorstand warf unter dem Stichwort „Autonomes Fahren“ auch einen Blick in die entferntere Zukunft. „Wir können uns vorstellen, dass man auf unseren Betriebshöfen beispielsweise auf der Fahrt zur Waschstraße oder zu Bereitstellungsplätzen fahrerlose Fahrzeuge nutzt.“ Arnold resümierte, dass aber „ohne Moos nix los“ sei und stärker in Bus und Bahn investiert werden müsse, damit mehr Menschen auf den Nahverkehr umsteigen.
Prof. Markus Friederich von der Universität Stuttgart präsentierte die Ergebnisse seiner Studie über die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Individualverkehr im städtischen Umfeld und den öffentlichen Verkehr in der Region Stuttgart. Die Studie „Megafon“, die zahlreiche Szenarien enthält, wurde im Auftrag des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der SSB, des VVS und des Verkehrsministeriums erstellt.
Abellio bereitet sich auf Übernahme von Leistungen im Raum Stuttgart vor
Am Nachmittag stand das Thema Wettbewerb im öffentlichen Nahverkehr auf dem Programm. Für den Schienenverkehr haben bereits Wettbewerbsverfahren stattgefunden, über die David Weltzien, der Vorsitzende der Regionalleitung Baden-Württemberg bei der DB Regio AG, referierte. Die Leistungen von DB Regio reduzieren sich im Rahmen der Neuvergabe der Stuttgarter Netze von 23 Millionen Zugkilometer heute auf nur noch 11 Millionen Zugkilometer. Trotz des Verlustes an Wettbewerber stellte Weltzien klar: „Die DB Regio passt sich den Marktbedingungen an und ist weiterhin ein großer Player im Schienenpersonennahverkehr in Baden-Württemberg.“
Dr. Andreas Moschinski, Vorsitzender der Geschäftsführung von Abellio Rail Baden-Württemberg, ging darauf ein, wie sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen auf die Betriebsaufnahme der Stuttgarter Netze vorbereitet. Die „Mobilisierung“ laufe planmäßig, verkündete Moschinski. Fahrgäste könnten sich auf Züge mit „ästhetischem und ansprechenden Landesdesign mit mehr Komfort und Sicherheit freuen“, so Moschinski. Ihm sei es ein Anliegen, dass alle Wettbewerber fair und kollegial zusammenarbeiteten. Denn die „zentrale Aufgabe des ÖPNV sei es, gemeinsam mit allen Wettbewerbern ein optimales Ergebnis für die Fahrgäste herzustellen.“ Aktuell sei die Rekrutierung von neuen Mitarbeitern, insbesondere Triebfahrzeugführern, die größte Herausforderung.
Vergabeverfahren im Busverkehr stellen regionale Busunternehmen vor große Herausforderungen
Horst Windeisen, Geschäftsführer der Omnibus-Verkehrs-Ruoff GmbH, widmete sich dem Thema Vergabeverfahren im Busverkehr. Sie seien Neuland für den Aufgabenträger, die Landkreise, aber auch für die Verkehrsunternehmen und für alle Partner eine große Herausforderung. Er appellierte an die Aufgabenträger und das Regierungspräsidium Stuttgart als zuständige Genehmigungsbehörde, die Ausschreibungsanforderungen nicht überzustrapazieren und die Wertungskriterien bei eigenwirtschaftlichen Anträgen klar zu definieren.
Der gesamte regionale Busverkehr im VVS wurde von den Verbundlandkreisen im Rahmen der Nahverkehrsplanerstellung in 50 Linienbündel aufgeteilt. Diese werden bis 2019 im Rahmen von Wettbewerbsverfahren vergeben. Dabei kann es sein, dass langjährige ortsansässige Betreiber nicht mehr zum Zuge kommen.
„Polittalk“ mit Verkehrsexperten der Landtagsfraktionen
Beim „Polittalk“ am Nachmittag konnte der VVS die Abgeordneten des Landtages Baden Württemberg Andreas Schwarz (Bündnis 90/Die Grünen), Nicole Razavi (CDU), Peter Hofelich (SPD) und Jochen Haußmann (FDP) begrüßen. Sie debattierten über die Herausforderungen im öffentlichen Nahverkehr.
Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen, sagte, dass ein leistungsfähiger ÖPNV die Grundlage dafür sei, dass Mobilität existiere. „Wir müssen gemeinsam an einem zuverlässigen und modernen Nahverkehr arbeiten“, so Schwarz. Aufgaben wie die Neubeschaffung oder Modernisierung von Fahrzeugen sowie Investitionen in den barrierefreien Ausbau von Bus und Bahn seien dringend. „Dafür muss die Landespolitik für eine Verlängerung der bisherigen Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz eintreten.“
Nicole Razavi ist „überzeugt, dass Grüne und CDU bei den Koalitionsverhandlungen einen guten Verkehrsvertrag abgeschlossen haben.“ Sie spricht sich für eine ausreichende Dotierung des Landes-Gemeinde-Verkehrs-Finanzierungsgesetzes aus und begrüßt die Wiederaufnahme der Schienenfahrzeugförderung. Doch auch „wenn die Steuereinnahmen sprudeln, sollte das Geld nicht mit vollen Händen ausgegeben werden“, betonte die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion.
Der ehemalige Staatssekretär Peter Hofelich sieht „die Chance, dass Baden-Württemberg das ÖPNV-Land Nummer 1 wird.“ Doch bei den Kommunen gebe es reichlichen Investitionsbedarf. Bei „insgesamt reichlich gefüllten Kassen wird das Land nicht darum herumkommen, deutlich mehr Geld für den ÖPNV zu investieren“, so der SPD-Politiker.
Jochen Haußmann, verkehrspolitscher Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, sprach sich für den Ausbau des ÖPNV aus, jedoch müssten die „Mittel vernünftig eingesetzt“ werden. Er bekannte sich zu einem Mittelstandspakt, damit die Strukturen kleiner- und mittelständischer Busunternehmen bewahrt werden könnten.
Das Stuttgarter ÖPNV-Forum hat eine lange Tradition. Seit acht Jahren findet das Forum des VVS im Haus der Architekten statt. Die Veranstaltung genießt bei den Verkehrsexperten einen guten Ruf, denn jedes Jahr tragen hochrangige Referenten zu einem erstklassigen Austausch über Nahverkehrsthemen bei.
(pk)